Leserbrief zum Artikel „Das E-Auto zieht viele Probleme hinter sich her“ RN vom 23.01.2018

 © DESIGN-MÜHLE

25.01.2018

Leider muss ich zugeben, dass das aktuell verbreitete Bashing gegen Elektromobilität bereits Wirkung zeigt. Fast täglich werde ich bei meiner Arbeit als Berater mit wachsender Unsicherheit und Misstrauen konfrontiert. Da leisten die Handlanger der Autoindustrie, die noch möglichst lange an ihrer Cashcow, dem Verbrenner, festhalten will, ganze Arbeit. Und die desinformierte breite Masse hat dadurch, um nichts ändern zu müssen, ein Alibi am Status Quo der fossilen und zerstörerischen Mobilität des letzten Jahrhunderts festhalten zu dürfen. Dabei gibt es mehrere seriöse Studien, die zweifelsfrei belegen, dass selbst mit dem aktuellen deutschen Strommix ein E-Fahrzeug beim Co2-Ausstoß deutlich sauberer ist. Ganz zu schweigen von den Abgasen eines SUVs der gut und gerne das Vierfache und mehr an Co2 in die Umwelt abgibt als ein durchschnittliches E-Fahrzeug. Von den vielen weiteren giftigen und  gesundheitsgefährdenden Ausscheidungen eines Verbrenners wie NOx, Ozon, mikroskopischer, lungengängiger Feinstaub usw. ganz zu schweigen. Allein in Deutschland sterben daran doppelt so viele Menschen als an Verkehrsunfällen. Weltweit an Luftverschmutzung nach Berechnungen der WHO über 8 Mio. Menschen. Wenn also „das E-Auto viele Probleme hinter sich herzieht“, dann hat ein fossil betriebenes Fahrzeug, einschließlich der äußerst problematischen geopolitischen Beschaffung des Rohöls, einen ganzen Güterzug von Problemen im Schlepptau.

Alle Halbwahrheiten des Artikels aufzulisten, würde leider diesen Rahmen sprengen. Zum Beispiel spielen seltene Erden in Fahrzeug-Akkus keine Rolle, wenn, dann in den E-Motoren, wobei man solche, wie z.B. bei Tesla auch problemlos ohne seltene Erden bauen kann. Kobalt kann man statt im Kongo auch in Kanada oder China kaufen. Überdies erarbeiten Autohersteller aktuell erstmals ethische Selbstverpflichtungen bzgl. kritischer Rohstoffe für den Bau elektrischer Fahrzeuge. Bei den geliebten Smartphones oder überdimensionierten Flachbildschirmen kräht seltsamerweise kein Hahn nach solchen. Von einer physischen Knappheit an relevanten Rohstoffen respektive Lithium kann keine Rede sein. Selbst in Deutschland liegen unter dem Erzgebirge riesige Vorkommen. Die Explorationen werden mit dem Bedarf wachsen und dabei auch „armen“ Ländern, wie z.B. Bolivien zu Gute kommen. Die Recyclingquote steigt ständig, während Erdöl nach „Gebrauch“ für immer verloren und als schädigendes Klimagas in unserer empfindlichen Atmosphäre für sehr lange Zeit festsitzt.

Und zuletzt der Verweis auf den Elektromobilitäts-Blackout gleicht schon einer Realsatire. Mögliche 11 Mrd. Kosten verteilt auf 10-15 Jahre sind eher geringe Kosten für einen Technologiesprung dieser Größenordnung. Im Gegenzug dafür wird aber zum Beispiel allein bis 2020 für Mobilität 4.0 ein Marktpotential von bis zu 120Mrd € prognostiziert.

Und der Hinweis, dass das Stromnetz „knallt“, wenn alle gleichzeitig um 20:00 Uhr ihr E-Fahrzeug laden wollen, ist wirklich populistischer Unsinn. Genauso wenig wie 40 Mio. Fahrzeuge gleichzeitig zum Tanken fahren oder 40 Mio. Haushalte gleichzeitig den Trockner einschalten.

Hätte der Autor die Studie lieber zu Ende gelesen bzw. dem verunsicherten Leser verraten, dass die Studie ganz unspektakulär zu dem Schluss kommt, dass, wenn es den Netzbetreibern gelingt, den größten Teil der E-Fahrzeugbesitzer für flexibles Laden zu gewinnen, braucht es überhaupt keinen Netzausbau selbst bei einer E-Autoquote von 100-Prozent. Im Gegenteil, die Akkus der Fahrzeuge sind dann sogar in der Lage, die Verteilnetze bei regenerativen Stromspitzen zu stabilisieren. Alleine der 2017 exportierte Überschussstrom würde für rund 12 Mio. E-Fahrzeuge ausreichen. Die Wertschöpfung bliebe im Land und die Abhängigkeit von fragwürdigen Energieträgern wird signifikant gesenkt.

Die allermeisten Maschinen die wir nutzen werden selbstverständlicherweise mit Strom betrieben. Warum betreiben wir weiter unseren Individualverkehr nach wie vor mit grottenschlechtem Wirkungsgrad von oftmals unter 20 Prozent? Das ist in höchstem Maße ineffizient und angesichts der anstehenden Probleme schlichtweg verantwortungslos.

Das E-Fahrzeug ist sicher nicht das Allheilmittel, aber es ist ein entscheidender Baustein der Energiewende. Mobilität muss innerhalb dieser neu gedacht werden und die Zauberworte für ein Gelingen sind Sektorkopplung, intelligente Netze und digitale Steuerungen.

Geeignete Handlungsstrategien bzgl. disruptiver Umbrüche entwickeln sich oftmals gegen alle unternehmerische Vernunft und werden dadurch zur Falle von „ewig gestrigen“ Firmenlenkern (siehe Kodak oder Nokia). Das könnte auch Teile der deutschen Autoindustrie treffen, die zu lange auf monetäre Gewinne und auf Verzögerung gesetzt haben.

Gut dazu passt diese Aussage, die Gandhi zugeschrieben wird. Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich – und dann gewinnst Du.

 

Matthias Schwarz,
Deiningen – staatlich anerkannter Berater für Elektromobilität (HWK)

Dipl. Produkt-Designer
Smart Advisor Staatlich geprüfter Berater für Elektromobilität (HWK)
 © DESIGN-MÜHLE

Artikel – E-Autor Probleme – RN 23_01-2018 (PDF-Download des erwähnten Artikels).

Veröffentlicht in Berichte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.